Bewegliche Kunst im Öffentlichen Raum
Resumée
Bewegte Kunst im Öffentlichen Raum. Unter dem grünleuchtenden Logo des Projekts move.it!! versammelten sich am Wilhelm-Wagenfeldhaus immer mehr Menschen, die gemeinsam mit uns die Stadt aus einer anderen Perspektive erleben und hinterfragen wollten. Wie an jedem weiteren Ort unseres Rundgangs wurden Postkarten verteilt, die Teilnehmer und Passanten der Veranstaltung über den Ort informierten, an dem wir uns gerade aufhielten. Weiter wurde an jeder Station ein Gedenkplakat aufgehängt, das als bleibender Eingriff zurückblieb.
Station 1
Ostertorwache - Wilhelm-Wagenfeld-Haus
Die in Wilhelm-Wagenfeld-Haus umbenannte ehemalige Ostertorwache am Übergang von der Altstadt in die Vorstadt, bildete den Startpunkt des Projekts
move.it!! Die Ostertorwache hat eine über 150jährige Geschichte als Gefängnis. In der NS-Zeit war die Wache Foltergefängnis und bis vor wenigen Jahren wurde sie noch als Abschiebegefängnis genutzt. Als steingewordenener Ausdruck repressiver Staatsmacht war sie die Zielscheibe des buntem Protests linker Demonstranten, der immer wieder den weißen Anstrich des Gebäudes befleckte. Die jetzige Nutzung als Designzentrum im Rahmen der „Kulturmeile Ostertor“ setzt, statt auf Auseinandersetzung mit der Identität des Ortes auf von oben durchdesignte Corporate Identity . Der Zugang zu der Gedenkstätte im Inneren des Gebäudes ist auf vereinzelte Samstagvormittage beschränkt, eine ehemals deutlich sichtbare Skulptur vor dem Gebäude wurde kurzerhand in ihren Windschatten verlegt. Die Marke „Kulturmeile Ostertor“ spricht mit ihren Einrichtungen der sogenannten Hochkultur sehr gezielt eine kleine bürgerliche, kulturbeflissene Klientel an.
move.it!! warf auf die weißen Wänden Projektionen, die die Folterzellen im Inneren des Gebäudes ans Licht der Öffentlichkeit holten und den bunten Protest wieder zum Vorschein brachten, aber auch das in Designzentren forcierte Markendenken hinterfragten.
Station 2
Polizeihaus/Gerichtsgebäude
Nur wenige Schritte von der Ostertorwache entfernt, auf der anderen Seite der Wallanlagen passieren wir das ehemalige Polizeihaus und erreichen das Gerichtsgebäude. Die beiden nicht nur wegen ihrer wuchtigen Bauform bedrohlich wirkenden Gebäude vom Ende des 19.Jahrhunderts stehen am Eingang/Ausgang der historischen Innenstadt. Mit der Ansiedlung der Zentralbibliothek im Inneren des Polizeihauses und der Einrichtung einer gehobenen Gastronomie sowie Lichtinstallationen im Innenhof des Gerichtsgebäudes wird der düstere Eindruck dieser Gebäude etwas gedämpft, um nicht zu sagen, weichgespült. Am Eingang zum Gerichtsgebäude hielt Sönke Busch eine kurze Lesung.
Station 3
Domsheide
Bis in die 1960er Jahre war die Domsheide kein Verkehrsknoten. Erst die damals erfolgte Verlegung der Haltestellen erzeugte die heutige bauliche Situation. Die Domsheide ist einer der am stärksten von Kameras überwachten öffentlichen Räume in Bremen. Die Kontrolle des Raums dient nicht nur dazu den reibungslosen Ablauf der Verkehrsinfrastrukturen gewährleisten sondern auch den Raum von den Elementen freizuhalten, die diesen reibungslosen Ablauf nach Ansicht der Kontrolleure stören könnten.
move.it!! klärte vor Betreten der Domsheide über diesen Umstand auf und verteilte Schutzmaßnahmen zur Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Station 4
Böttcherstraße vs. Rammstein
Was bei der Vermarktung des „Gesamtkunstwerks“ (Bremer Touristik-Zentrale) gerne unterschlagen wird, ist der krude Kontext, in dem die Böttcherstraße zwischen den beiden Weltkriegen entstanden ist. Der Böttcherstraßenförderer Roselius war nicht nur Anhänger eines völkischen Weltbilds, sondern wäre 1933 auch gerne in die NSDAP eingetreten. Allerdings galt die expressionistische Böttcherstraße bei den Nazis als „entartete Kunst“, so dass er abgewiesen wurde. Nach Hitlers Kritik passte sich Roselius an, ließ den in Glas und Stein gefassten Eingangsbereich entfernen und durch das Relief der „Lichtbringer“ ersetzen, das „den Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis darstellt“ (Roselius).
Damals wie heute ist die Böttcherstraße ein Aushängeschild und Identitätsträger für Bremen. Das Augenmerk liegt dabei weniger auf der kritischen Reflexion der Entstehungsgeschichte, als auf der ökonomischen Verwertung eines zweifellos außergewöhnlichen Gebildes. Eine ähnliche Ambivalenz ist bei der Musik-Gruppe Rammstein zu beobachten. Auch sie kokettiert bewusst und äußerst verkaufsfördernd mit Ausdrucksformen des Dritten Reichs. Ihr Gesang erinnert an den Klang der Reichstagsreden in den Jahren von 1933 bis 1945 und als Video zu einem ihrer Lieder wählten sie Aufnahmen der Nazi-Regisseurin Leni Riefenstahl.
Im Rahmen von
move.it!! erfahren Rammstein und Böttcherstraße erstmalig eine Fusion, die in ihrer Darbietung von Nebelschwaden eingefasst wird, in denen die Wahrheit zu verschwimmen droht.
Station 5
Martinitunnel
Der Martinitunnel verbindet den Ausgang der Böttcherstraße unterirdisch mit der Schlachte. Er unterquert die Martinstraße, die hier 4-spurig die Innenstadt durchschneidet und das Stadtzentrum von der Weser trennt. Der nach dem Umbau der Schlachte zur Flaniermeile stark gestiegene Fußgängerverkehr zwischen Innenstadt und Schlachte führt gerade in den Sommermonaten diese Trennungswirkung deutlich vor Augen. Der 1961 gebaute Martinitunnel wurde 2002 aufwendig renoviert und mit Lichtinstallationen aufgewertet und ist jetzt Bestandteil des Touristenpfads Innenstadt, der Besucher aus der Böttcherstraße an die Schlachte und von dort in den Schnoor führt.
Für
move.it!! bildete der Tunnel die ideale Kulisse und Installationsfläche, um auf die tägliche Dokumentation und Kontrolle persönlicher Daten aufmerksam zu machen. Hierauf verwies auch die kurze Intervention auf dem Informationspavillon am Martinianleger.
Station 6
Informationspavillon am Martinianleger.
Station 7
Schlachte/Teerhofbrücke
Die Schlachte war die historische Hafenanlage Bremens im Mittelalter. Durch die Zerstörungen im 2.Weltkrieg kam es zur Aufgabe des Güterumschlags, die Schlachte wurde zu einem Parkplatz. Ende der 90er Jahre wurde die Schlachte als Projekt der Expo 2000 zu einem Boulevard umgestaltet.
Die Teerhofbrücke wurde, gemäß eines Versprechens des Senats an die Investoren der Teerhofbebauung, 1993 fertig gestellt. Das ursprüngliche Datum der Fertigstellung sollte 1992 sein und die Baukosten sollten bei 5,5 Mio DM liegen. Tatsächlich zog sich der Bau bis 1993 hin und die Kosten summierten sich auf über 12 Mio. DM. Ursächlich hierfür waren Auflagen der Wasser- und Schifffahrtsdirektion und ein Rechtstreit mit einem anliegenden Restaurantschiff.
Mit der Brücke als Zugeständnis für die Wohnbebauung auf dem Teerhof und mit der Errichtung einer Flaniermeile die ausgedehnte Flächen für Gastronomiebetriebe bietet , ist entlang der Schlachte ein attraktiv gestalteter Aufenthaltsraum für Ausflügler, Touristen und ausgabefreudige Nachtschwärmer entstanden. Der pittoreske Eindruck dieses Ensembles wird durch die Anlage historischer Schiffsnachbauten noch verstärkt. Für alternative, nicht kommerzielle Aktivitäten ist dieser attraktive Raum nicht vorgesehen.
move.it!! verstärkte diese Abgrenzung mit der Installation „Pitbull“, mit ihren beidseitig des Eingangs zur Flaniermeile postierten hundeähnlichen Skulpturen.
Station 8
Sol LeWitt - Weserspitze
Die Weserspitze mit dem Anleger für Schiffe der Wasserschutzpolizei und Schleppern bildete die Abschlussstation von
move.it!! . Auf dieser Weserspitze steht seit dem Jahr 2000, gegenüber des Museums Weserburg das Kunstwerk „Three Triangles“ von Sol LeWitt, dessen weiterer Erhalt an dieser Stelle durch Pläne für den Bau eines 20 Mio. Euro teuren Bürogebäudes gefährdet ist. Dieser als „Leuchturm“ für die Stadtentwicklung angekündigte Bau wird weit in die Weser hineinragen und das Stadtbild zwischen Bgm.-Smidt- und Stephanibrücke dominieren. Das momentan an dieser Stelle stehende Kunstwerk müsste dem Bau weichen, eine Verlagerung oder ein Abbau des Werkes wird daher erwägt.
move.it!! nutzte die weißen Flächen des Kunstwerks und der benachbarten Brauerei, um auch andere Marken gut sichtbar in den städtischen Raum zu werfen und zu fragen, warum nicht allen großen Bremer Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird sich gut sichtbar an der Spitze Bremens zu präsentieren.
AAA | Alexander Kolb | Alexander Kutsch |
Anja Fußbach |
BNC | Clemens Menke |
Daniel Schnier | Franziska Höppe | Kayos | Linda Waitz | Martin Koplin | Oliver Hasemann | SHARE.bremen | Shunka Gilberg |
Sönke Busch | Thomas Goldstrasz | Ty Carter | verschiedene Einzelpersonen | ZOOM
move.it!! wurde unterstützt durch den Bremer Senator für Kultur im Rahmen seines Programms "Kunst im öffentlichen Raum".
NO Means NO
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TAZ vom 22.10.2007
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move.it!!
An einem Abend im Oktober zieht
move.it!! nach Anbruch der Dunkelheit an verschiedene Plätze der Stadt. Alle diese Orte prägen das Leben in der Stadt. Mit Projektionen, Geschichten, Licht- oder Toninstallationen etc. interpretiert und verändert
move.it!! die ursprünglichen Funktionen und Bedeutungen dieser Koordinaten städtischen Lebens temporär.
move.it!! macht deutlich, dass die Stadtgestalt immer ein Produkt gesellschaftlicher Verfasstheit ist. Die Stadtentwicklung unterliegt den Präferenzen einflussreicher Gruppen und manifestiert sich in Form gesellschaftlicher Ein- und Ausschlussverfahren im Raum.
Die Stadtplanung orientiert sich als Erfüllungsgehilfe immer mehr an den Bedürfnissen der Wirtschaft, die den Raum über seine Wertschöpfungspotentiale definiert und gestaltet.
move.it!! hinterfragt die Rolle der Architektur beim Social Engineering, der gezielten Produktion von Lebensstilen und Identitäten.
move.it!! thematisiert Imagekampagnen und Inszenierungen öffentlicher Räume, durch die der Stadtraum zwecks Generierung weicher Standortfaktoren zu einem monofunktionalen Postkartenpanorama für potente Konsumenten verkommt.
move.it!! will nicht nur Aufklärung, Belehrung oder ein leicht genießbares buntes Event sein.
move.it!! lebt auch von den Beiträgen seiner TeilnehmerInnen, indem es Informationen in Aktionen übersetzt und Vorschläge macht, wie die Stadt auch aussehen könnte: Beispiele für von uns kritisierte Stadtarchitektur werden mittels verschiedener Medien inszeniert. Diese Inszenierungen greifen den jeweiligen (Zu-)Stand öffentlicher oder öffentlich zugänglicher Orte auf, verändern, verschönern oder persiflieren ihn auf Zeit. Die Bandbreite der eingesetzten Medien erstreckt sich von visuellen Effekten, der Ausnutzung vorhandener Lichtinstallationen und dem Einsatz neuerer Telekommunikationsmittel über Musik und Hörspiele bis hin zu den „natürlichen“ Klängen des Raums.